Zusammenfassung: Der 9. November ist ein zentrales Datum in der deutschen Geschichte, das mit zahlreichen prägenden Ereignissen verbunden ist. Trotz seiner Bedeutung ist der 9. November weder ein nationaler Feiertag noch ein offizieller Gedenktag in Deutschland, was angesichts der Vielzahl wichtiger historischer Ereignisse an diesem Tag bemerkenswert erscheint. Um die Gründe dafür zu verstehen, ist es notwendig, sich mit dem Konzept der Erinnerungskultur auseinanderzusetzen, die Rolle von Feiertagen zu betrachten und die wichtigsten Ereignisse des 9. Novembers in der deutschen Geschichte zu analysieren.
Erinnerungskultur am Beispiel des Holocaust
Erinnerungskultur beschreibt, wie Menschen und Gesellschaften sich an geschichtliche Ereignisse erinnern, wie sie diese auswählen und öffentlich begehen, beispielsweise durch Gedenk- oder Feiertage. Die Auswahl der erinnerungswürdigen Ereignisse hängt stark von der jeweiligen nationalen Identität ab. In Deutschland ist der Holocaust das prägendste Ereignis der Erinnerungskultur, das als das alles überschattende Menschheitsverbrechen gilt. Die Art und Weise, wie an den Holocaust erinnert wird, ist von der Multiperspektivität der Geschichte geprägt. Diese Perspektivenvielfalt hängt davon ab, wo und wann Menschen leben, aus welcher sozialen Schicht sie stammen, welche Bildung sie genießen, welche familiären Hintergründe sie haben und ob sie oder ihre Angehörigen selbst in die historischen Ereignisse involviert waren. Der zeitliche Abstand zu den Ereignissen und persönliche Erlebnisse prägen das Erinnern besonders stark.
Zeitgenossen des Nationalsozialismus hatten häufig eine andere Sicht auf die Vergangenheit als Menschen heute. Viele Deutsche erinnerten sich an positive Aspekte des NS-Regimes, da sie durch das gleichgeschaltete Bildungs- und Mediensystem geprägt und indoktriniert wurden. Negative Aspekte wurden oft nicht persönlich erlebt, sofern man nicht unmittelbar vom Krieg betroffen war. Aus Sicht dieser Generation erschien Widerstand gegen den Nationalsozialismus als Verrat am Vaterland, und die Kapitulation 1945 wurde als katastrophale Niederlage empfunden. Heute hingegen werden die Verbrechen des NS-Regimes und der Holocaust als zentrale Ereignisse betrachtet, während Widerstandskämpfer als Helden gelten. Die Kapitulation wird heute als Tag der Befreiung gefeiert, nicht als Niederlage. Dies zeigt, wie sich Erinnerungskultur im Laufe der Zeit verändern kann.
Rolle des 9.11. in der deutschen Geschichte
Staaten können Erinnerungskultur durch die Festlegung von Gedenk- und Feiertagen oder durch Denkmäler beeinflussen. Beispiele sind das Holocaust-Denkmal in Berlin oder die Stolpersteine, die an Opfer des Holocaust erinnern. Der 9. November ist in der deutschen Geschichte mit mehreren bedeutenden Ereignissen verbunden:
- Am 9. November 1918, als der Erste Weltkrieg für Deutschland praktisch verloren war, riefen zwei Politiker innerhalb weniger Stunden das Ende des Kaiserreichs und die Ausrufung einer Republik aus. Philipp Scheidemann von der SPD rief zur Gründung einer liberalen Demokratie auf, während Karl Liebknecht eine Rätedemokratie nach sowjetischem Vorbild forderte. Letztlich setzte sich die von Scheidemann angestrebte Demokratie durch, und die Weimarer Republik wurde gegründet. Dieser Tag war zeitweise als möglicher Feiertag im Gespräch, wurde aber von rechten Gruppen als Verrat diffamiert und die beteiligten Politiker als „Novemberverbrecher“ bezeichnet.
- Am 9. November 1923 fand der sogenannte Hitlerputsch statt. Adolf Hitler versuchte mit Unterstützung bewaffneter SA-Männer, die Regierung in Berlin zu stürzen. Der Putsch scheiterte, es gab Tote auf beiden Seiten, und die Nationalsozialisten stilisierten die gefallenen Anhänger später als „Blutzeugen“. Nach 1933 wurde der 9. November von den Nationalsozialisten mit Aufmärschen und Gedenkfeiern vereinnahmt.
- Am 9. November 1938 begann mit der sogenannten Reichspogromnacht (früher „Reichskristallnacht“) eine beispiellose Welle antisemitischer Gewalt. Synagogen wurden angezündet, jüdische Bürger misshandelt und ermordet, Geschäfte zerstört. Diese staatlich gelenkten Pogrome markieren einen Wendepunkt in der Verfolgung der Juden im nationalsozialistischen Deutschland. Die Bezeichnung „Reichskristallnacht“ wurde später aufgrund ihrer Verharmlosung des Geschehens durch „Reichspogromnacht“ oder „Novemberpogrome“ ersetzt.
- Am 8. und 9. November 1939 versuchte der Schreiner Georg Elser, durch ein Attentat im Bürgerbräukeller in München die NS-Führung zu töten. Das Attentat scheiterte, da Hitler und andere Führungsmitglieder den Ort vorzeitig verlassen hatten. Elser wurde gefasst, gefoltert und schließlich ermordet. Lange Zeit galt er als Verräter, erst Jahrzehnte später wurde er als Widerstandskämpfer anerkannt.
- Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer. Nach einer missverständlichen Pressekonferenz von SED-Funktionär Günter Schabowski strömten Tausende DDR-Bürger zu den Grenzübergängen und die Grenzsoldaten öffneten die Mauer. Die Bilder der feiernden Menschen gingen um die Welt und markierten den Beginn des Endes der DDR und der sowjetischen Vorherrschaft in Osteuropa.
Gedenktag – Feiertag – oder nicht?
Trotz der emotionalen Bedeutung des 9. Novembers, insbesondere des Mauerfalls, wurde der 3. Oktober als Tag der Deutschen Einheit gewählt. Der 9. November war als Nationalfeiertag im Gespräch, doch die negative Erinnerung an die Reichspogromnacht sprach dagegen. Man wollte einen Feiertag, der frei von negativen Assoziationen ist.
Feiertage spiegeln das Selbstverständnis eines Landes wider. Von 1954 bis 1990 war der 17. Juni der Tag der Deutschen Einheit und erinnerte an den Volksaufstand in der DDR 1953. In der DDR hingegen wurde die Novemberrevolution von 1918 als gescheitert betrachtet, da sich nicht die Kommunisten, sondern die Sozialdemokraten durchgesetzt hatten.
Fazit
Die Ereignisse des 9. Novembers spiegeln hundert Jahre deutscher Geschichte zwischen Demokratie und Diktatur wider: von der Ausrufung der Republik 1918, über den Hitlerputsch 1923, die Novemberpogrome 1938, den Widerstand Georg Elsers 1939 bis zum Mauerfall 1989. Diese Daten machen die Komplexität der deutschen Erinnerungskultur deutlich und zeigen, wie eng positive und negative Erinnerungen miteinander verflochten sind. Viele Ereignisse stehen in direktem Zusammenhang und reagieren aufeinander, was die politische Dimension von Erinnerungskultur unterstreicht.
Der 9. November ist somit ein herausragendes Beispiel für die Herausforderungen und die Vielschichtigkeit der deutschen Erinnerungskultur. Er vereint große Momente der Demokratiegeschichte und katastrophale Ereignisse der Diktatur und zeigt, wie Geschichte und ihre Erinnerung immer wieder neu bewertet und interpretiert werden.