Das Krisenjahr 1923

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entstand in Deutschland die Weimarer Republik als Nachfolgestaat des Kaiserreichs. Diese neue Demokratie war jedoch von Anfang an von Unsicherheiten geprägt. Viele der alten Eliten aus dem Kaiserreich blieben weiterhin in Machtpositionen – ein Phänomen, das als Elitenkontinuität bezeichnet wird. Da es an Alternativen fehlte, wurden beispielsweise Militärchefs, Zeitungsleiter und andere einflussreiche Persönlichkeiten aus der Kaiserzeit in ihren Ämtern belassen. Dadurch wurde die junge Demokratie von Personen geführt, die noch im Kaiserreich sozialisiert und geprägt worden waren, was die politische Entwicklung erschwerte.

Die Hyperinflation und ihre Ursachen

Im Jahr 1923 verschärften sich die wirtschaftlichen Probleme der Weimarer Republik erheblich. Ein zentraler Faktor war die Hyperinflation, deren Ursachen vielfältig waren. Einer der wichtigsten Auslöser war der Versailler Vertrag, der Deutschland nach dem Krieg zu hohen Reparationszahlungen an die Siegermächte verpflichtete. Neben diesen Geldzahlungen musste Deutschland auch Sachleistungen erbringen, also bestimmte Produkte an die Nachbarstaaten liefern. Besonders Frankreich zeigte sich unzufrieden mit den deutschen Reparationsleistungen und warf Deutschland Vertragsbruch vor.

Die Ruhrkrise

Im Jahr 1923 marschierte das französische Militär in das Ruhrgebiet ein – das industrielle Herz Deutschlands. Ziel war es, durch militärischen Druck die Erfüllung der Reparationsforderungen zu erzwingen. Deutschland war durch den Versailler Vertrag militärisch stark eingeschränkt und durfte im Ruhrgebiet keine Soldaten stationieren, sodass es keinen Widerstand leisten konnte. Die deutsche Regierung rief zum passiven Widerstand auf: Die Arbeiter im Ruhrgebiet sollten streiken und die Produktion einstellen.

Der Passive Widerstand und seine Folgen

Die Streikenden mussten dennoch versorgt werden. Da die Streikkassen der Gewerkschaften schnell erschöpft waren, übernahm die Regierung deren Lohnzahlungen. Um dies zu finanzieren, druckte der Staat große Mengen an Geld, was die Inflation weiter anheizte. Die Folge war, dass immer mehr Geld im Umlauf war, während die Menge der verfügbaren Waren begrenzt blieb. Die Preise stiegen rasant, und es entstand eine Spirale aus Geldentwertung und Preissteigerungen – die Hyperinflation. Geldscheine mit astronomischen Beträgen wurden gedruckt, verloren aber innerhalb kürzester Zeit ihren Wert. Die Menschen versuchten, ihr Geld sofort auszugeben, da es täglich an Wert verlor. Sachwerte wie Immobilien oder Zigaretten behielten hingegen ihren Wert.

Soziale und politische Folgen

Die Hyperinflation führte zu massiver Verarmung der Bevölkerung. Ersparnisse wurden wertlos, und viele Menschen verloren ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage. Nur Eigentümer von Sachwerten konnten sich dem Wertverlust teilweise entziehen. Die wirtschaftliche Not verstärkte die politische Unzufriedenheit, insbesondere in einem Klima, das ohnehin von rechten und republikfeindlichen Kräften geprägt war. Die sogenannte Dolchstoßlegende – die Behauptung, liberale Politiker hätten die Armee im Ersten Weltkrieg verraten – gewann in dieser Zeit an Zuspruch. Politiker, die den Versailler Vertrag umzusetzen versuchten, wurden von rechten Kreisen als „Erfüllungspolitiker“ diffamiert und für die Besetzung des Ruhrgebiets verantwortlich gemacht.

Der „Hitlerputsch“ von München

Im November 1923 spitzte sich die politische und wirtschaftliche Krise der Weimarer Republik weiter zu. In diesem angespannten Klima entschloss sich Adolf Hitler, gemeinsam mit der NSDAP und weiteren rechtsgerichteten Kreisen, einen gewaltsamen Umsturz zu versuchen. Am 8. November 1923 stürmte Hitler mit seinen Anhängern eine politische Versammlung im Münchner Bürgerbräukeller. Dort zwang er führende Politiker Bayerns, sich seinem Plan anzuschließen und die Reichsregierung in Berlin für abgesetzt zu erklären. Ziel war es, nach dem Vorbild des „Marschs auf Rom“ der italienischen Faschisten mit Unterstützung der bayerischen Reichswehr nach Berlin zu marschieren und dort die Macht zu übernehmen. Die Hoffnung bestand darin, dass sich das Militär dem Putsch anschließen und so eine nationalsozialistische Diktatur errichtet werden könnte.

Doch bereits in der Nacht wendeten sich viele der zuvor unter Druck gesetzten Politiker von Hitler ab und widerriefen ihre Unterstützung. Die Polizei und die Reichswehr wurden informiert und bereiteten sich auf einen Widerstand gegen die Putschisten vor. Am nächsten Morgen, dem 9. November 1923, marschierte Hitler mit seinen Anhängern durch München, um den Umsturzversuch fortzusetzen. Doch die Polizei stellte sich ihnen entgegen. Es kam zu einer Schießerei, bei der mehrere Menschen getötet wurden. Hitler selbst entkam zunächst, wurde aber wenig später festgenommen.

Der Hitlerputsch scheiterte damit bereits im Ansatz. Die NSDAP wurde verboten, viele ihrer führenden Mitglieder verhaftet. Hitler selbst musste sich im Frühjahr 1924 wegen Hochverrats vor Gericht verantworten. Obwohl er zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt wurde, verbüßte er nur einen Bruchteil der Strafe und nutzte die Haftzeit, um Teile seines Buches „Mein Kampf“ zu verfassen. Der Prozess und die Berichterstattung darüber verschafften Hitler jedoch erstmals landesweite Bekanntheit. Die Ereignisse um den Putsch zeigten, wie fragil die junge Demokratie der Weimarer Republik war und wie schnell politische Extremisten versuchten, die politische Ordnung mit Gewalt zu beseitigen.

Die Weimarer Republik nach 1923

Trotz der schweren politischen und wirtschaftlichen Krise im Jahr 1923 erwies sich die Weimarer Republik als widerstandsfähig. Die Einführung der Rentenmark stabilisierte die Währung und beendete die Hyperinflation. Mit dem Rückzug der französischen Truppen aus dem Ruhrgebiet und wirtschaftlichen Reformen begann eine Phase der Erholung. In den folgenden Jahren erlebte Deutschland die sogenannten „Goldenen Zwanziger“, eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs und kulturellen Wandels.

Fazit

Das Jahr 1923 gilt als eine der größten Bewährungsproben für die Weimarer Republik. Die Kombination aus wirtschaftlicher Not, politischer Instabilität und dem Erstarken extremistischer Kräfte hätte die Demokratie beinahe zu Fall gebracht. Doch durch politische und wirtschaftliche Maßnahmen gelang es, die Krise zu überwinden. Die Ereignisse des Jahres 1923 zeigen deutlich, wie eng wirtschaftliche und politische Krisen miteinander verbunden sind und wie wichtig stabile demokratische Institutionen für das Überleben einer jungen Republik sind.

Das Krisenjahr 1923 offenbarte die Schwächen, aber auch die Widerstandskraft der Weimarer Republik. Die Hyperinflation, die Ruhrbesetzung und der Hitlerputsch stellten die Demokratie vor enorme Herausforderungen. Letztlich gelang es jedoch, diese zu überwinden und eine Phase der Stabilität einzuleiten – bis zur erneuten Krise am Ende der 1920er Jahre. Das Jahr 1923 bleibt ein zentrales Beispiel für die Gefährdung und die Möglichkeiten einer jungen Demokratie in Zeiten großer Umbrüche.