Zusammenfassung: Frankreich blieb in den 1930er Jahren als eine der wenigen europäischen Nationen vom Faschismus verschont. Dies ist hauptsächlich auf die lange demokratische Tradition der Dritten Französischen Republik (1870-1940), die gefestigte republikanische Kultur und das Prinzip des Laizismus zurückzuführen. Im Gegensatz zu improvisierten Demokratien wie der Weimarer Republik konnte Frankreich auf Jahrzehnte demokratischer Erfahrung zurückgreifen.
Die Dritte Französische Republik
Die Dritte Französische Republik entstand 1870 nach der Niederlage Frankreichs im Deutsch-Französischen Krieg und der Gefangennahme von Kaiser Napoleon III. Ursprünglich als temporäre Lösung gedacht, sollte sie bald durch eine konstitutionelle Monarchie ersetzt werden. Da sich jedoch die verschiedenen Thronanwärter aus drei Adelsfamilien nicht einigen konnten, blieb die Republik bestehen – obwohl die Republikaner nur ein Viertel der Abgeordneten in der verfassungsgebenden Versammlung stellten. Außenpolitisch befand sich Frankreich zunächst in einer schwierigen Lage, da Bismarck versuchte, das Land diplomatisch zu isolieren. Als Teil der Alliierten ging Frankreich jedoch aus dem Ersten Weltkrieg als Siegermacht hervor und profitierte vom Versailler Vertrag.
Republikanische Kultur in Frankreich
Die republikanische Kultur Frankreichs basiert auf dem Begriff „res publica“ (die öffentliche Sache) und geht bis auf Machiavelli in den 1520er Jahren zurück. Der Republikanismus betrachtet jeden Bürger als mündig und verantwortungsbewusst und erwartet politische Partizipation von allen. Dies unterscheidet ihn vom Liberalismus, der politisches Engagement eher einer gebildeten Elite zuschreibt. Die französische Republik zeichnete sich aus durch:
- umfassende Meinungsfreiheit
- Streben nach Wohlstand für alle Bürger
- Schutz des Individuums und seiner Privatsphäre
Der Laizismus
Eine Besonderheit des französischen Systems ist der Laizismus (Laïcité), der 1905 als Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat eingeführt wurde. Dieser entwickelte sich ideell im Zusammenhang mit der Dreyfus-Affäre, einem Justizskandal, der antisemitische Tendenzen in Frankreich offenlegte. Der Laizismus macht Religion zur Privatsache und schreibt die Neutralität des Staates gegenüber allen Religionen vor. Die Auslegung dieses Prinzips variiert: Während die Linke darin oft ein Verbot religiöser Betätigung in der Öffentlichkeit sieht, betrachten konservative Kreise es eher als grundsätzliche Trennung, die religiöse Ausdrucksformen im öffentlichen Raum nicht ausschließt.
Krise und Widerstandsfähigkeit
Die Weltwirtschaftskrise erreichte Frankreich mit Verzögerung ab 1931 und führte zu wirtschaftlichen Problemen und politischer Instabilität. Am 6. Februar 1934 versuchten rechtsradikale Gruppen, das Parlament zu stürmen, wurden jedoch von der Polizei aufgehalten. Bei den Zusammenstößen gab es zahlreiche Verletzte und Tote. Diese Krise führte zur Bildung der „Front Populaire“ (Volksfront) 1936 unter Léon Blum – einer Koalition aus linken und Mitte-links-Parteien, die sich gegen den Faschismus stellte. Die Regierung setzte ein klassisch linkes Programm durch, darunter die Verstaatlichung großer Konzerne und Arbeitsschutzgesetze. Allerdings war auch diese Regierung nicht von langer Dauer.
Menschenrechtserklärung von 1936
1936 veröffentlichte die Französische Liga für Menschenrechte eine neue Menschenrechtserklärung, die bestehende Konzepte erweiterte und modernisierte. Sie bezog explizit die Freiheit unabhängig von Geschlecht, „Rasse“ und Religion ein und versuchte, Ungerechtigkeiten wie das fehlende Frauenwahlrecht und die Ausbeutung der Kolonien zu adressieren.
Warum Frankreich dem Faschismus widerstand
Frankreich widerstand dem Faschismus in den 1930er Jahren aus mehreren Gründen:
- als „gelernte Demokratie“ mit über 70 Jahren demokratischer Erfahrung
- durch eine gefestigte republikanische Kultur
- dank des Laizismus, der rationale statt religiöse Argumente in der Politik förderte
- aufgrund demokratisch sozialisierter Eliten in Politik, Beamtenapparat und Wirtschaft
Diese Faktoren verliehen Frankreich eine höhere Widerstandskraft gegen faschistische Ideologien als beispielsweise die junge Weimarer Republik, die nur auf 15 Jahre demokratische Erfahrung zurückblicken konnte.