Zusammenfassung: Italien und Deutschland wurden erst im 19. Jahrhundert zu Nationalstaaten geeint, wobei beide Prozesse von politischen Eliten und nicht von Volksrevolutionen bestimmt wurden. In Deutschland führte Otto von Bismarck die Einigung durch eine „Revolution von oben“ an, während in Italien das Königreich Sardinien-Piemont unter Führung von Ministerpräsident Cavour die Vereinigung herbeiführte. In beiden Ländern entstand so ein Nationalstaat, der eine rasche Modernisierung und politische Neuordnung ermöglichte.
Die späte Nationalstaatsbildung in Europa
Im Gegensatz zu Frankreich, das bereits seit der frühen Neuzeit als einheitlicher Nationalstaat existierte, waren Deutschland und Italien bis ins 19. Jahrhundert in viele kleine Fürstentümer und Königreiche aufgeteilt. Obwohl die Menschen dort meist eine gemeinsame Sprache und Kultur teilten, lebten sie in politisch getrennten Gebieten. Die Grenzen dieser Staaten konnten sich durch Erbfolge und Herrscherwechsel häufig ändern, was typisch für die mittelalterliche Herrschaftsordnung war.
Revolution von unten und Revolution von oben
Für die Einigung Deutschlands und Italiens werden zwei Begriffe verwendet: „Revolution von unten“ und „Revolution von oben“. Eine „Revolution von unten“ bezeichnet den Versuch, durch Volksaufstände und demokratische Bewegungen einen Nationalstaat zu schaffen – wie etwa die gescheiterte Revolution von 1848 in Deutschland. Im Gegensatz dazu steht die „Revolution von oben“, bei der die politische Elite selbst die Einigung steuert, oft durch diplomatische und militärische Maßnahmen.
Die deutsche Einigung unter Otto von Bismarck
Otto von Bismarck, preußischer Ministerpräsident, setzte die deutsche Einigung maßgeblich durch. Er schloss Österreich von der Führungsrolle im neuen deutschen Nationalstaat aus und gewann die Vorherrschaft Preußens durch Kriege gegen Dänemark und Österreich. 1870/71 provozierte Bismarck den Deutsch-Französischen Krieg, um die deutschen Fürsten und Staaten in einem Bündnis gegen Frankreich zu vereinen. Nach dem Sieg wurde 1871 das Deutsche Kaiserreich gegründet, in dem Preußen die dominierende Stellung einnahm.
Verfassung und Politik im Deutschen Kaiserreich
Das Deutsche Kaiserreich war eine konstitutionelle Monarchie, in der der Kaiser – meist der preußische König – und der Reichskanzler (Bismarck) sehr viel Macht besaßen. Der Reichstag war zwar ein gewähltes Parlament, hatte jedoch nur begrenzten Einfluss. Das Wahlrecht war für Männer ab 25 Jahren allgemein, gleich und geheim, aber Frauen blieben ausgeschlossen. Die Modernisierung und wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands verlief nach der Einigung besonders schnell.
Die italienische Einigung (Risorgimento)
Die italienische Einigung, das sogenannte Risorgimento, fand zwischen 1815 und 1870 statt. Sie war geprägt von politischen Bewegungen und Kriegen, die zur Vereinigung der vielen Einzelstaaten auf der italienischen Halbinsel führten. Das Königreich Sardinien-Piemont unter Ministerpräsident Cavour setzte sich im Norden durch, während im Süden der Republikaner Garibaldi mit seinen Anhängern militärische Erfolge erzielte. 1860 entschied sich die Bevölkerung Süditaliens per Volksabstimmung für den Anschluss an Sardinien-Piemont. 1861 wurde das Königreich Italien gegründet, das zunächst eine konstitutionelle Monarchie war.
Gemeinsame Merkmale der Nationalstaatsbildung
Sowohl in Deutschland als auch in Italien war die Einigung kein Ergebnis einer breiten Volksbewegung, sondern wurde von der jeweiligen politischen Elite vorangetrieben. In beiden Fällen führte die Einigung zu einem raschen Modernisierungsschub und zur Schaffung neuer zentralstaatlicher Strukturen. Die Integration der Bevölkerung in den neuen Nationalstaat blieb jedoch eine große Herausforderung.